27. April 2001

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Neuer Bericht über das Ngaba Gefängnis

Neue Informationen erreichten das TIN über die Zustände in dem Gefängnis Ngaba in der Provinz Sichuan. Diese werfen ein Licht auf die immer größer werdende Bedeutung dieser Strafanstalt als einer Inhaftierungsstätte für politische Gefangene. Derzeit sind 14 tibetische politische Gefangene in dem Gefängnis Ngaba in Distrikt Maowun (chin. Maoxian) in der Tibetisch und Qiang Autonomen Präfektur Ngaba (chin. Aba) eingesperrt. 11 davon sind Mönche, darunter 3 Mönche aus dem Kloster Kirti in derselben Präfektur, 5 aus dem Kloster Kardze Gepheling in der benachbarten Tibetisch Autonomen Präfektur Kardze (chin. Ganzi), ein Mönch aus Lithang; weiterhin ein tibetischer Lama, der zu 6 Jahren verurteilt wurde, weil er sich gegen die Praktiken der regionalen Regierung im Zusammenhang mit dem Goldbergwerk bei seinem Kloster ausgesprochen hatte. Einer zuverlässigen Quelle zufolge wird auch Sonam Phuntsok, der geachtete religiöse Lehrmeister und Gelehrte, dessen Festnahme im Oktober 1999 Anlaß zu den großen Demonstrationen in Kardze gab und der zu 5 Jahren verurteilt wurde, im Gefängnis Ngaba festgehalten.

Die gegenwärtig in dem Gefängnis Ngaba eingesperrten tibetischen politischen Gefangenen wurden in den Neunzigern zu verschiedenen Zeitpunkten verhaftet und haben politischer Aktivitäten wegen, wie etwa dem Verteilen von Zetteln für die Unabhängigkeit und Aufhängen der tibetischen Flagge, Strafen von 3 bis 10 Jahren abzuleisten. Einem ehemaligen politischen Gefangenen zufolge wurden die Mönche von Kardze 1998 ins Ngaba Gefängnis geworfen, weil sie "Free Tibet" Plakate anbrachten oder "Free Tibet" gerufen hatten. Einer der bekanntesten politischen Häftlinge in Ngaba ist Kabukye Rinpoche, der Abt von Kloster Nubzur in Distrikt Serthar (chin. Seda) der Kardze TAP. Er wurde am 10. Juni 1996 verhaftet, weil er einen Brief an die Regierung geschrieben hatte, in dem er gegen die Ausbeutung einer Goldmine in der Nähe seines Klosters und den daraus erfolgten Zustrom von chinesischen Einwanderern protestierte. Kabukye Rinpoche genießt bei den Mönchen von Nubzur und der Lokalbevölkerung hohes Ansehen als Gelehrter und spirituelle Persönlichkeit, und seine Festnahme vor 5 Jahren rief heftigen Ärger bei den Tibetern hervor. Damals soll Kabukye Rinpoche eine Botschaft an die Leute vor Serthar gesandt haben, worin er schrieb, er habe ja nur einige seiner Gedanken zu Papier zu gebracht, und sie bat, ruhig zu bleiben.

Sonam Phuntsok, ein bekannter Gelehrter und Lehrer der tibetischen Sprache im Alter von 40-50 Jahren, ist vermutlich auch in Ngaba eingesperrt. Seine Verhaftung scheint im Zusammenhang mit der Besorgnis der Behörden über seinen Einfluß in der Gegend und seine offensichtliche Treue zum Dalai Lama zu stehen. Auf Sonam Phuntsoks Verhaftung am 24. Oktober 1999 hin gingen Hunderte von Menschen in der Stadt Kardze auf die Straßen, um seine Freilassung zu fordern: Aus Angst vor weiteren Unruhen zogen es die Behörden wohl vor, Sonam Phuntsok weit weg von seiner Heimat Kardze vor Gericht zu stellen und verurteilen zu lassen. Die Berichte über den Ort seiner Inhaftierung lauten verschieden, doch der fundierteste, den TIN bisher erhielt, spricht von seiner Verlegung in das Gefängnis Ngaba. Anderen Aussagen zufolge soll er sich in Dartsedo (chin, Kangding), der Hauptstadt der Kardze TAP, aufhalten. Es ist anzunehmen, daß Sonam Phuntsok irgendwann einmal dort war, entweder im Zusammenhang mit der Untersuchung und dem Gerichtsverfahren oder bei der Verlegung ins Gefängnis Ngaba.

Tibetische politische Gefangene aus dem benachbarten Distrikt Kardze werden vermutlich aus Sicherheitsgründen in das Gefängnis Ngaba verlegt. Das Hauptgefängnis von Kardze in Minyag (chin. Xinduqiao) ist eine Haftanstalt älteren Typs und gilt wahrscheinlich für weniger sicher als das Gefängnis Ngaba. Die Lage des Minyag Komplexes in einer Gegend, wo die Mehrheit der Bevölkerung tibetisch ist, und direkt neben einer wichtigen, durch die Kardze TAP führenden Fernstraße würde es den Angehörigen leichter machen, ihre Verwandten im Gefängnis zu besuchen. Maowun beherbergt dagegen fast keine Tibeter (weniger als 1%) und kann von der Kardze TAP nur in einer mehrere Tage erfordernden, beschwerlichen und relativ teuren Reise erreicht werden.

Die Verhältnisse im Gefängnis Ngaba

Ein ehemaliger politischer Gefangener aus dem Gefängnis Ngaba, der jetzt im Exil lebt, berichtete, in Ngaba würden die politischen Gefangenen üblicherweise härter als die kriminellen behandelt. Körperliche Mißhandlung einschließlich Folter, sei etwas Alltägliches, die Zellen seien überbelegt und politische Gefangene würden unter die kriminellen verstreut. Er meinte TIN gegenüber: "Eines der größten Probleme war, daß es nicht genug zu essen gab. Unsere Angehörigen schickten uns Butter, Fleisch und Geld, aber die Polizei behielt dies für sich. Zankten sich zwei Häftlinge, von denen einer ein politischer und der andere ein Dieb war, dann wurde der politische Gefangene geschlagen, aber nicht der Dieb. Bei Krankheit wurde den Gefangenen nur eine einzige Art von Arznei gegen Kopfweh verabreicht, aber die politischen bekamen nicht einmal diese. Die Aufseher hänselten uns, wenn wir krank seien, könnten wir ja zu dem Dalai Lama und Amerika beten, uns zu helfen." Politischen Gefangenen seien keine Besuche von Familienangehörigen gestattet gewesen. Das lag vielleicht nicht so sehr an den Prinzipien dieses Gefängnisses, als an den langen, teuren Anfahrten von entfernten Distrikten oder den hohen, von dem Gefängnispersonal verlangten "Einlaßgebühren".

Derselbe ehemalige politische Gefangene berichtete, daß er während der Verhöre mißhandelt wurde. Diese Peinigungen setzten sich während der ganzen Gefangenschaft weiter fort. Die Häftlinge hätten die Wärter nur auf Chinesisch anreden dürfen, und die Benutzung der tibetischen Sprache sei eingeschränkt gewesen. Wenn die Gefängniswachen religiöse Gegenstände wie Gebetsketten, Schutzkordeln oder Photos des Dalai Lama entdeckten, konfiszierten sie diese und "trampelten darauf herum", berichtete er TIN. Als der damalige US Präsident Bill Clinton im Juni 1998 China besuchte, verhöhnten die Aufseher die politischen Häftlinge, sie sollten darauf hoffen, daß Bill Clinton kommen und ihnen helfen würde.

Ein zweiter politischer Gefangener, der im Gefängnis Ngaba inhaftiert war und sich nun im Exil befindet, sagte, die Häftlinge dort hätten die Gefängnisuniformen selbst kaufen müssen und wenn sie ohne Uniform angetroffen wurden, seien sie geschlagen und bestraft worden. Der ehemalige Gefangene, der jetzt auch im Exil lebt, behauptet, chinesische Gefangene hätten einen Extrazuschuß zum Kauf dieser Uniformen bekommen, die tibetischen jedoch nicht. "Die Preise, um irgend etwas in dem Gefängnisladen zu kaufen, waren doppelt so hoch wie auf dem Markt", berichtete er TIN. Von Besuchern für tibetische Gefangene sei eine Gebühr von ein paar Yuan erhoben worden, aber dies scheint in tibetischen Gefängnissen normal zu sein.

Weiterhin erzählte er, daß viele Gefangene, die unterernährt und krank waren, trotzdem Zwangsarbeit leisten mußten. Als Symptome der Unterernährung nannte er Verlust des Haarpigments und Blässe der Haut. "Die Folge ist, daß ihre Gesundheit sich rapide verschlechtert, und die Schwächeren oftmals bewußtlos umfallen". Während dieser Gefangene Zwangsarbeit mitmachen mußte, berichtete der andere, er sei an seinen Gefängnistrakt gefesselt gewesen und nicht zur Arbeit herangezogen worden.

Ein ehemaliger Gefangener erzählte, in seinem Trakt hätte es 8 Zellen, jede für 18 Insassen gegeben, was ziemlich genau mit den Photos des Gefängnisses übereinstimmt. Zusätzlich zu den vier Hauptzellblöcken gibt es mehrere andere Bauten innerhalb der Gefängnismauern. Die größten sind die drei fabrikartigen Gebäude, die man äußerlich nicht als Zellblöcke erkennen würde. Die betreffenden Photos auf unserer Tibet website unter www.tibetinfo.net/reports/ngaba_prison/ngaba_prison.htm zeigen einen Überblick des gesamten Gefängnisses und die wichtigsten Außengebäude mit einer Großaufnahme des Eingangsbereiches und einen Ausschnitt eines Arbeitsbezirks, der offensichtlich zur Herstellung von Baumaterial auf Zementbasis dient. Ein Bild zeigt auch den Versammlungsplatz im Gefängnis, auf dem eine erhöhte Tribüne und ein Slogan "Setze das Segel des Idealismus und eile zu den Ufern eines neuen Lebens" zu erkennen sind. Auf Zwangsarbeit basierende Unternehmen wie Baufirmen und Fabriken fügen häufig den Begriff "neues Leben" in ihren Namen ein. Außer den Hauptzelltrakten scheint es für Bestrafung einen extra Gefängnisbereich zu geben, der kleine Isolationszellen aufweist und der besser gesichert ist als das übrige Gefängnis.

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